Die KI-Game-Changer in der Personalabteilung

Shownotes

KI bietet Personalabteilungen enorme Chancen - von der Entlastung bei administrativen Aufgaben bis hin zur Mitarbeiterentwicklung. Doch wie kann künstliche Intelligenz sicher und effektiv in der HR unterstützen?

Jule Deges, Psychologin und Expertin für Personalentwicklung, gibt im Gespräch wertvolle Einblicke und erklärt, wie KI zum Game-Changer in der HR-Welt wird.

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Jule Deges: Wir sind keine Opfer der künstlichen Intelligenz. Das passiert nicht mit uns. Ich glaube, dass wir uns oft hilflos fühlen und uns als Opfer der künstlichen Intelligenz sehen. Doch als Personaler und Personalerinnen haben wir die Möglichkeit, Mitentwickler zu sein und ganz selbstwirksam zu bestimmen, wie KI uns, unseren Mitarbeitenden, unserer Belegschaft und unseren Führungskräften helfen kann.

Einspieler: So klingt Wirtschaft – Zukunftsthemen für Unternehmen. Jeden Mittwoch sprechen wir mit Entscheiderinnen über die Herausforderungen und Trends in ihrer Branche. Mit jeder Menge Insights und neuen Denkanstößen aus der Wirtschaft für die Wirtschaft.

Simone Nissen: Künstliche Intelligenz musste in letzter Zeit einiges an Kritik einstecken. "Überbewertet" oder "wenig echter Nutzen" heißt es immer öfter. In So klingt Wirtschaft nehmen wir uns deshalb heute wieder einen ganz konkreten Anwendungsfall für KI vor. Wir schauen uns an, ob und wie künstliche Intelligenz in der Personalentwicklung unterstützen kann.

Einspieler: Warum ist das wichtig?

Simone Nissen: Laut dem Weltwirtschaftsforum werden sich bis 2030 fast ein Viertel aller Jobs grundlegend verändern. Das bedeutet, dass sich die benötigten Fähigkeiten stark verschieben werden. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen Unternehmen die Entwicklung ihrer Mitarbeiter umfassend unterstützen. Nur so können sie sie langfristig binden und gezielt auf die Zukunft vorbereiten. Mein Name ist Simone Nissen und unser heutiger Gast beschäftigt sich unter anderem als Buchautorin intensiv mit der Frage, wie sich durch künstliche Intelligenz Coachingangebote und Entwicklungsprogramme skalieren lassen. Und sie weiß als Psychologin auch, welchen Ängsten Entscheider bei der Einführung von KI begegnen. Jule wird uns verraten, wie künstliche Intelligenz Aufgaben in der Personalentwicklung übernehmen kann, ohne die Mitarbeiter zu ersetzen. Und was erste Schritte sein können, um einen Einsatz künstlicher Intelligenz in der Personalentwicklung sicher zu gestalten, damit die KI dann auch tatsächlich eine hilfreiche Unterstützung sein kann. Hallo, Jule.

Jule Deges: Hallo, hallo Simone, freut mich, hier zu sein.

Simone Nissen: Laut einer Studie des HR-Softwareanbieters Sage berichten über 90 % der Personaler, ihre Arbeitsbelastung sei im vergangenen Jahr gestiegen. Kannst du verstehen, wenn die HR-Abteilung sagt: "Lass uns bitte mit der Einführung von KI in Ruhe"?

Jule Deges: Das kann ich verstehen. Das habe ich auch tatsächlich schon gehört, weil ohnehin die Überforderung schon so groß ist. Ich glaube, das müssen wir ernst nehmen. Das ist eine ehrliche Angst, weil natürlich durch alte manuelle Prozesse und alte Systeme die Personaler de facto voll und ganz überfordert sind. Und deswegen muss man das, glaube ich, umdrehen. Ja, natürlich kann ich das verstehen. Gleichzeitig ist die Antwort: "Na ja, Gott sei Dank haben wir so etwas wie künstliche Intelligenz, die vielleicht genau das ermöglicht, Aufgaben abzugeben und Freiräume für strategische, zukunftsgerichtete und vor allem wichtige Personalarbeit zu schaffen, für die aktuell oft gar keine Zeit ist."

Simone Nissen: Gibt es einen Anwendungsfall, wo du sagst, da kommt künstliche Intelligenz ins Spiel? Das ist der absolute Game Changer.

Jule Deges: Ja, gibt es. Es ist aber tatsächlich gar nicht mein Lieblingsanwendungsfall, weil ich einen anderen habe, bei dem ich glaube, dass er ein grundlegendes Problem lösen kann. Und zwar sind das die aktuellen Engagementraten bei uns in Deutschland. Die größte Datenbank, die es da gibt, ist Gallup. Und die haben gemessen, dass wir im letzten Jahr das niedrigste Mitarbeiterengagement in Deutschland hatten, seit sie diese Daten erheben. Wir haben noch nicht herausgefunden, wie man eigentlich skaliert und wirklich im großen Stil Mitarbeitende dabei unterstützen kann, gesünder ihr Arbeitsleben zu gestalten. Und KI kann Stressmuster und Burnout-Risiken erkennen, kann entsprechende Empfehlungen geben, kann Coachings machen. All das ist, glaube ich, mein Leidenschaftsbereich. Und ich möchte damit nicht sagen, dass es der größte Anwendungsfall ist – das ist er tatsächlich nicht. Es gibt andere Anwendungsfelder, die glaube ich größer und naheliegender sind. Aber ich denke, es ist ein Anwendungsfall, der langfristig einen unheimlich positiven Einfluss sowohl auf die psychische Gesundheit als auch auf die Produktivität haben kann.

Simone Nissen: Super wichtiges Thema, da hast du vollkommen recht. Aber jetzt darfst du auch noch mal den großen Game-Changer nennen. Ich hatte das Gefühl, da schwirrt noch etwas anderes in deinem Kopf herum.

Jule Deges: Ja, tatsächlich. Das ist jetzt überhaupt kein Schocker: das ist die Aus- und Weiterbildung. Ich sage bewusst nicht das Thema Effizienzsteigerung, denn das ist, wie man so schön sagt, ein No-Brainer. Dass wir Effizienz und Produktivität steigern müssen, ist klar. Der tatsächliche Game-Changer, wo viel investiert werden sollte und muss, um Talente zu halten, neue Talente anzuziehen und langfristig wettbewerbsfähig zu sein, ist die Aus- und Weiterbildung. Ich glaube, dass künstliche Intelligenz da einen ganz, ganz großen Beitrag leisten kann.

Simone Nissen: Lass uns mal die Personalentwicklung herauspicken. Was macht gerade diesen Bereich zu einem so guten Anwendungsfeld für KI?

Jule Deges: KI bringt die Möglichkeit, unheimlich stark zu personalisieren und tatsächlich Lernen am Arbeitsplatz – also das, was quasi nach dem Training, nach einer Schulung passiert – viel besser abzudecken und zu fördern. Es gibt ja dieses 70- bis 90-Prozent-Paradox: 70 bis 90 % des Lernens am Arbeitsplatz findet eigentlich informell statt. Das heißt, alles, was zwischen den Schulungen passiert, das, was im täglichen Leben passiert. Das Paradoxe ist, dass der Großteil der Investitionen in die Inhalte fließt, also in die Schulungen, in denen Mitarbeitende sitzen. Ich sage immer: Das ist nur die alte Leier, neu verpackt. Das heißt, ich bekomme nicht mehr von einem Trainer etwas über ein Tool vermittelt, sondern von einem Chatbot.

Simone Nissen: Das heißt also, wenn ich gerade eine Schulung hatte – und ich denke, das wird vielen so gehen – hatte ich witzigerweise letzte Woche eine. Ich bin rausgegangen und dachte: „Super, jetzt mach ich ABCDE.“ Du meinst, das ist ein Phänomen, das trügt?

Jule Deges: Ja, erst mal finde ich es toll, dass du aus der Schulung gekommen bist und sagst: „Ich habe richtig Lust, umzusetzen.“ Das ist ja auch nicht immer so – also Kudos an dich! Tatsächlich ja, das ist auf jeden Fall so. Und das meine ich nicht nur so, das zeigen ganz viele Daten. Mitarbeitende oder Lernende – das kann man auch auf das Ausbildungswesen übertragen – vergessen vieles, was sie frontal gelernt haben, innerhalb weniger Stunden und spätestens nach einer Woche, es sei denn, das Lernen wird sehr personalisiert gestaltet. Wenn eine Schulung auf deine tatsächlichen Probleme im Arbeitsalltag abgestimmt ist und du regelmäßig an das Gelernte erinnert wirst, bleibt es länger im Gedächtnis. In deinem Fall war die Schulung gestern und du bist motiviert, aber wenn wir in einer Woche noch einmal sprechen, hast du wahrscheinlich vieles schon wieder vergessen – es sei denn, ich komme morgen zu dir und frage: „Hey Simone, weißt du noch ABCDE, diese Ziele hast du dir gesetzt. Was hast du schon umgesetzt?“ Dieses regelmäßige Auffrischen und Anwenden ist entscheidend, und da kann KI unheimlich viel leisten, was früher nicht möglich war.

Simone Nissen: Das würde aber doch bedeuten, dass ich mir die KI auch selber trainieren muss, oder? Ich müsste irgendwie den Inhalt des Seminars da einbauen, der KI sagen: „Ich setze mir die und die Ziele“ – und sie überlegt sich dann, wie sie mich dahin bringt.

Jule Deges: Und da kommen wir wieder zur Personalabteilung. Im Idealfall hat sie sich vorher Gedanken gemacht, wie Lernen am Arbeitsplatz auch zwischen Schulungen gefördert werden kann, und hat die KI entsprechend trainiert. Natürlich wird dein Bot besser, je mehr Informationen er über dich hat – also über deine Karriereziele, deine Stärken, deine Entwicklungsfelder. Der Sinn der Personalisierung ist, dass diese Daten genutzt werden, um dir ganz individuell bei deiner Karriereplanung zu helfen.

Simone Nissen: Da klingelt bei mir so ein bisschen das Alarmglöckchen, obwohl ich da gar nicht so empfindlich bin. Aber personalisiert – da bin ich jetzt bei personenbezogenen Daten, gerade in der Personalabteilung ein ganz großes Thema. Wenn ich da jetzt mit KI agiere – wie problematisch ist das?

Jule Deges: Natürlich kann das problematisch sein, wenn mit den Daten nicht verantwortungsvoll umgegangen wird. Unternehmen müssen sicherstellen, dass das, was sie tun, den entsprechenden Standards entspricht – sowohl ethischen als auch datenschutzrechtlichen. Das muss in der Technikgestaltung schon bei der Entwicklung berücksichtigt werden. Datenschutz und Sicherheitsfunktionen sollten von Anfang an eingebaut werden. Dank gesetzlicher Vorschriften wie der DSGVO haben wir hier klare Richtlinien. Auch der deutsche IT-Beirat für HR-Tech hat hilfreiche Leitlinien definiert, wie man KI verantwortungsvoll in der Personalarbeit einsetzen kann. Dazu gehört zum Beispiel, relevante Interessensgruppen frühzeitig einzubinden, sicherzustellen, dass Personalentscheidungen von Menschen und nicht von Maschinen getroffen werden, und Diskriminierung durch hohe Datenqualität auszuschließen. Unternehmen können sich an solchen Richtlinien orientieren – sie müssen das Rad nicht neu erfinden.

Simone Nissen: Also gibt es für diese ganz konkreten Ängste Lösungen.

Jule Deges: Ja, es gibt Lösungen. Aber nur weil wir diese Ängste ansprechen und Lösungen dafür haben, heißt das nicht, dass die Ängste sofort verschwinden. Ich kann Mitarbeitenden 70 Mal sagen, dass ihre Daten sicher sind – wenn es das erste Mal ist, dass sie mit KI arbeiten, haben sie vielleicht trotzdem Angst, weil es einfach neu ist und wir als Menschen so sind.

Simone Nissen: Man hat also eher mit diffusen Ängsten zu tun. Man kann gar nicht so genau sagen, was die Angst auslöst, aber irgendwie möchte man die neue Technologie nicht. Was macht man als Vorgesetzter in so einer Situation?

Jule Deges: Ich gehe da mal ganz kurz auf die Psychologie ein, weil ich es spannend finde. Wir haben als Menschen drei psychologische Grundbedürfnisse: Autonomie, Verbundenheit und Kompetenz. In vielen Gesprächen über KI erlebe ich, dass die Menschen das Gefühl haben, diese Grundbedürfnisse werden durch KI bedroht. Autonomie: „Die KI übernimmt meinen Job, ich bin machtlos.“ Verbundenheit: „Alles wird weniger menschlich, ich verliere den Kontakt.“ Kompetenz: „Ich bin überfordert, ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll, es ist alles anders.“ Das ist absolut verständlich. Diese Ängste müssen wir ernst nehmen und mit viel Verständnis und Neugier darauf reagieren. Als Führungskraft kann man gezielt Weiterbildung anbieten und den Menschen zeigen, wie sie mitgestalten können. Selbstwirksamkeit ist ein Schlüssel: Die Menschen müssen das Gefühl haben, dass sie Einfluss auf die Veränderungen haben und nicht einfach nur passiv betroffen sind. Partizipation, Mitarbeitende von Anfang an einzubinden, ist ganz wichtig, ebenso wie Pilotprojekte, an denen sie teilnehmen können. Es geht darum, alle mitzunehmen und niemanden zurückzulassen.

Simone Nissen: Wenn man jetzt mal ein bisschen in die Zukunft schaut: Was ist da noch möglich? Spinnen wir mal ein bisschen rum. Jetzt hatten wir das Beispiel, dass ich nach einer Schulung von einer KI bei der Nacharbeit begleitet werde. Könnte es theoretisch auch passieren – und ich weiß gar nicht, ob ich das so schön finde –, dass ich demnächst statt einer echten Dozentin eine KI habe, die mich zwei Tage lang intensiv unterrichtet? Oder ist das eher unwahrscheinlich?

Jule Deges: Na klar, verständlich, dass du das kritisch siehst. Aber das passiert ja schon teilweise. Ich war zweieinhalb Jahre bei CoachHub und war maßgeblich an der Entwicklung von KI-Coaches beteiligt. Wie kann man Coaching, diesen zutiefst menschlichen Prozess, in Teilen durch künstliche Intelligenz abdecken? Wie kann ich eine Beziehung zu einer KI aufbauen, die mir dabei hilft, meine Ziele zu erreichen? Genau das, was du sagst – das klingt jetzt dystopisch, ist es aber gar nicht. Ich finde eher, es ist utopisch. Es gibt so viele Möglichkeiten, die das mit sich bringt. Lernen passiert ja sowieso schon viel über E-Learning-Plattformen oder Videos. Die KI könnte das Ganze noch interaktiver machen und dich individuell begleiten.

Simone Nissen: Ja, ich gebe dir ein Stück weit recht. Andererseits – du hast ja gesagt, Coaching sei etwas zutiefst Menschliches. Ich sehe das genauso. Ich möchte mich mit meinem Coach identifizieren können, er oder sie soll ein Vorbild für mich sein, ein Mentor. Wenn ich mir vorstelle, dass alles rein künstlich ist, könnte mich das doch irgendwie stören.

Jule Deges: Ja, das verstehe ich, das würde mich auch stören. Aber das ist ja nicht der Fall. Es geht nicht darum, den Menschen zu ersetzen, sondern die KI als Ergänzung zu sehen. Stell dir vor, du hast deinen Coach, der mit dir eine individuelle Entwicklungsplanung erstellt, deine Ziele setzt und dir vielleicht auch mal hilft, über deine eigenen Glaubenssätze nachzudenken. Natürlich möchtest du da einen Menschen, der diesen Prozess mit dir durchgeht. Aber der Coach kann nicht 24/7 für dich da sein. Und in den Momenten, in denen du gerade Unterstützung brauchst, kann die KI einspringen. Es geht also nicht darum, den Menschen zu ersetzen, sondern dich zu unterstützen, wann immer du es brauchst.

Simone Nissen: Wunderbar. Was möchtest du denn zum Ende unseres Podcasts den Zuhörern noch mit auf den Weg geben?

Einspieler: Und jetzt der Gedanke zum Mitnehmen.

Jule Deges: Wir sind keine Opfer der künstlichen Intelligenz. Das passiert nicht einfach mit uns. Als Personaler und Personalerinnen haben wir die Möglichkeit, Mitentwickler zu sein und selbst zu bestimmen, wie KI uns, unseren Mitarbeitenden, unserer Belegschaft und unseren Führungskräften helfen kann. Ich sage gerne: Es geht um den Dreiklang von Karriere, Evolution und Organisation. Erstens: Künstliche Intelligenz bietet einen Wettbewerbsvorteil, vor allem in Zeiten von Fachkräftemangel und Rezession. Zweitens: HR kann Vorreiter innerhalb der Organisation sein und eine zentrale Rolle bei der Transformation spielen. Und drittens: Durch den Einsatz von KI im Personalwesen können Barrieren abgebaut werden, um auch in anderen Geschäftsbereichen proaktiver und angstfreier agieren zu können.

Simone Nissen: Danke, liebe Jule! Und Ihnen, liebe Zuhörer, vielen Dank fürs Einschalten. Ich würde mich freuen, wenn wir uns auch kommenden Mittwoch wieder hören, wenn es heißt: So klingt Wirtschaft.

Einspieler: So klingt Wirtschaft. Haben Sie Fragen, Kritik oder Anmerkungen? Dann schreiben Sie uns gerne an podcast@handelsblattmediagroup.com. Gefällt Ihnen, was Sie hören? Dann bewerten Sie uns gerne auf Spotify oder Apple Podcasts.

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