Purpose? Wer braucht denn so was!?
Shownotes
Ist ein höherer Zweck für Ihr Unternehmen wirklich nötig? Das erfahren Sie in der aktuellen Episode von "So klingt Wirtschaft". Plus ganz konkrete Schritte zum Finden eines überzeugenden Purpose.
Weitere Informationen zu den genannten Studien finden Sie unter folgenden Links:
https://www.mckinsey.com/de/news/presse/2023-04-28-state-of-organizations
Mehr zu So klingt Wirtschaft, dem wöchentlichen Business-Podcast der Solutions by Handelsblatt Media Group, unter: handelsblatt.com/adv/soklingtwirtschaft/
Dieser Podcast ist kein Produkt der Handelsblatt-Redaktion. Für den Inhalt sind die Interviewpartner*innen und die Handelsblatt Media Group Solutions verantwortlich.
Transkript anzeigen
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Dr. Thomas Fischer [00: 00:00] Ich gehe nicht davon aus, dass die Zeiten, die vor uns liegen, deutlich ruhiger werden. Wir werden uns damit abfinden müssen, dass wir in einem Dauermodus der Krisenbewältigung sind, dass die Zeiträume der Betrachtung, strategische Zeiträume, immer kürzer werden. Da ist es sehr gut, so einen Purpose zu haben.
Intro [00: 00:19] So klingt Wirtschaft. Zukunftsthemen für Unternehmen. Jeden Mittwoch sprechen wir mit Entscheiderinnen über die Herausforderungen und Trends in ihrer Branche. Mit jeder Menge Insights und neuen Denkanstößen - aus der Wirtschaft für die Wirtschaft.
Simone Nissen [00: 00:36] Adidas hat es zu seiner Aufgabe erklärt, durch Sport das Leben der Menschen zu verbessern. Und Tesla will die weltweite Umstellung auf nachhaltige Energie beschleunigen. Hat Ihr Unternehmen einen sogenannten Purpose, liebe Zuhörende? Und braucht es so einen höheren Zweck wirklich? Die Frage, ob die Sinnsuche überhaupt Sinn macht, erhitzt die Gemüter. Augenwischerei oder Marketinggag, sagen die einen. Die anderen sehen in einem starken Purpose, so das gängige Schlagwort, die Daseinsberechtigung von Unternehmen. Fest steht: Wenn Unternehmen einen Sinn definieren, der über Profit hinausgeht, müssen sie es überzeugend tun.
Einspieler [00: 01:13] Warum ist das wichtig?
Simone Nissen [00: 01:16] Über 70 % der deutschen Verbraucher glauben, dass viele Marken lediglich vorgeben, der Gesellschaft helfen zu wollen. Tatsächlich seien sie aber nur auf Profit aus. So lautet das Ergebnis des Meaningful-Brands-Report von Havas aus 2023. Ein vernichtendes Urteil. Wer möchte schon vor seinen Kunden als Lügner dastehen? Also besser Finger weg vom tieferen Warum? Eher nicht. Eine McKinsey-Studie hat ergeben: Über 1/3 der Europäer, die in letzter Zeit ihren Job gekündigt haben, nennen fehlenden Purpose als Grund. Unwichtig kann das Thema also definitiv nicht sein.
Einspieler [00: 01:50] Nachgehakt.
Simone Nissen [00: 01:54] Purpose? Brauche ich so was? Diese Frage sollen Sie, liebe Zuhörende, sich nach der heutigen Folge von "So klingt Wirtschaft" beantworten können? Mein Name ist Simone Nissen und meine heutigen Gäste sind erfahren in Sachen Purpose. Sie haben die Soennecken eG in eine purpose-geleitete Organisation umgewandelt. Dafür gab es den „Best of Consulting“-Award der WirtschaftsWoche. Meine beiden Gäste sagen: „Purpose zahlt sich aus.“ Und ich sage, herzlich willkommen: Dr. Thomas Fischer, Geschäftsführer der Allfoye Managementberatung …
Dr. Thomas Fischer [00: 02:21] Guten Morgen!
Simone Nissen [00: 02:26] ... und Dr. Benedikt Erdmann, Vorstandsvorsitzender der Soennecken eG.
Dr. Benedikt Erdmann [00: 02:27] Schönen Tag.
Simone Nissen [00: 02:28] „Purpose zahlt sich aus“ klingt gut. Wie messt ihr das?
Dr. Thomas Fischer [00: 02:31] Ja, das ist eine knackige Frage zum Einstieg. Es gibt Langzeitstudien, die untersucht haben, wie Unternehmen mit einem Purpose deutlich erfolgreicher sind, nämlich profitabler und auch an Wert gewonnen haben. Gleichwohl muss ich sagen, dass Purpose erst mal nichts ist, was sich in ganz kurzfristigen Kennzahlen niederschlägt, sondern ich würde versuchen deutlich zu machen: Der Purpose ist etwas, was sich langfristig auszahlt. Also wenn man auf mehrere Jahre geht oder Generation, um zu messen, ist ein Unternehmen widerstandsfähig oder nicht, dann kann man feststellen: Unternehmen, die einen starken Purpose haben, sind auf lange Sicht deutlich resiliente als andere Unternehmen. Das ist aber eben nichts, was man jetzt von Quartal zu Quartal messen kann, sondern das bedeutet eben, der Purpose funktioniert wie ein Leuchtstern, könnte man sagen. Also, wenn im Prinzip die Welt um einen herum in Bewegung ist und quasi alles zusammenbricht oder unvorhersehbar ist, dann kann man sich an einem Purpose sehr gut orientieren. Er ist eben keine Strategie, er ist keine Vision. Er ist der Fixstern, der hilft, in unruhiger See zu navigieren.
Simone Nissen [00: 03:34] Du hast gerade Visionen angesprochen. Lass uns da noch mal Begrifflichkeiten auseinanderklamüsern: Was ist der Purpose? Was ist die Vision?
Dr. Thomas Fischer [00: 03:42] Na ja, die Vision formuliert ja das angestrebte Zielbild, wenn man so will. Also das höhere anzustrebende Zielbild in ein paar Jahren oder in der Zukunft. Das ist ein Zielzustand. Der Purpose beschreibt den Zweck, und das ist ein Unterschied: Zum einen zu sagen, da will ich hin und deshalb will ich dahin. So könnte man es vielleicht trennscharf versuchen auseinander zu halten.
Simone Nissen [00: 04:04] Also das ist quasi das Warum dahinter?
Dr. Thomas Fischer [00: 04:07] Ganz genau, das ist das Warum dahinter. Und ich möchte da mal eine Geschichte erzählen. Die macht das, glaube ich, ganz praktisch. Ich war vor ein paar Monaten in einem Restaurant, sehr teures Restaurant hier in Düsseldorf mit einem Kunden, und ich saß dort mit einem Geschäftspartner, neben mir ein junges Pärchen, und das junge Pärchen passte so richtig nicht in dieses Restaurant rein. Und dann kam die Servicekraft und brachte die Karte und die beiden guckten da rein und ich merkte, wie er ganz schön nervös wurde. Die waren vielleicht gerade 19 oder so was. Es war offenkundig so ein erstes Date, und die Servicekraft hat das sofort erfasst. Die hat gesehen: Oh, das ist hier vielleicht ein bisschen teuer. Und dann hat sie die beiden konsequent auf das günstigste Menü, den günstigsten Wein hin beraten. Und die beiden waren nun ganz glücklich, haben gegessen, und die waren etwas früher weg. Und ich hab die Servicekraft nachher beiseite genommen, hab ihr gesagt, dass mir das aufgefallen wäre, dass sie eben so günstige Gerichte oder die günstigsten auf der Karte empfohlen hätte. Und hat sie gesagt: „Wissen Sie, ich habe gesehen, dass das ein junges Paar ist, die vermutlich nicht viel Geld haben. Aber wir sind dafür da, Menschen einen unvergesslichen Abend zu bereiten. Und da, finde ich, sieht man so schön daran, was die Kraft des Purpose ist. Das hat dieser Frau ja keiner in eine Zielvorgabe reingeschrieben, sondern die hat sich daran orientiert: Wofür sind wir da? Was ist eigentlich der Zweck unseres Restaurants? Und das hat nichts mit der Vision zu tun, zu sagen, wir sind das beliebteste Restaurant oder wir bekommen einen Stern von Michelin oder so weiter. Sondern der Zweck war: Wir bereiten Menschen einen unvergesslichen Abend. Und da kann man ganz gut sehen, was die Kraft des Purpose ausmacht.
Simone Nissen [00: 05:37] Ich gebe euch hier mal ein Zitat eines recht eindeutigen Purpose Kritikers. Professor Stefan Kühl ist Organisationssoziologe an der Universität Bielefeld und sagt: „Die Suche nach dem Purpose verleiht Organisationen sektenhafte Züge.“ Was möchtet ihr ihm antworten?
Dr. Benedikt Erdmann [00: 05:55] Muss ich wirklich nachdenken, weil ich wäre nicht auf die Idee gekommen, ein Unternehmen oder die Soennecken mit einer Sekte zu vergleichen. Das ist ganz weit weg. Aber der Kern der Frage ist ja schon: Gibt es einen Grund für die Zusammenarbeit, die über das Geldverdienen hinausgeht? Denn Geld verdienen kann man an vielen Orten. Das kann man doch nicht nur bei Soennecken. Und man kann ja auch an vielen Stellen reich werden, wahrscheinlich sogar noch viel reicher werden, als man bei der Soennecken werden kann. Und trotzdem müssen wir eine Antwort auf die Frage finden: warum bei uns und warum nicht woanders?
Simone Nissen [00: 06:29] Und was war eure Antwort auf das Warum?
Dr. Benedikt Erdmann [00: 06:32] Da muss ich vielleicht ganz kurz erläutern, was wir eigentlich tun. Also Soennecken ist ein sehr altes Unternehmen, vielen ja bekannt über die Ordner usw., und wir beschäftigen uns ja seit ganz vielen Jahren mit der Ausstattung von Büros. Traditionell mit allem, was man als Papier, Bürobedarf, Schreibwaren usw. bezeichnet. Und die Verwendung dieser Produkte hat sich ja im Laufe der Jahre nun massiv verändert. Und die Herausforderung, vor der wir standen, ist, ein gemeinsames Verständnis dafür zu erarbeiten, welche Rolle wir in der Welt der Arbeit mit unseren Produkten wollen, mit unseren Fähigkeiten, mit unseren Handelspartnern, mit unserer Technologie. Und wir haben uns deshalb entschieden, den Mensch, der mit unseren Produkten arbeitet, in den Mittelpunkt zu stellen und nicht die Produkte selbst. Und damit bekommt das Ganze eine Metaebene hinzu, die wir vorher nicht im Fokus hatten. Wir haben deshalb gesagt, wir wollen Arbeit lebenswerter machen. Also es geht uns nicht darum, dass wir den schönsten oder den billigsten oder den umweltfreundlichsten Ordner oder Stift usw. verkaufen. Ja, das wollen wir gerne auch tun. Aber das ist nicht der eigentliche Purpose. Der Purpose ist, dass die Menschen, die mit unseren Produkten und Dienstleistungen arbeiten, zufriedener, besser, lebenswerter arbeiten können.
Dr. Thomas Fischer [00: 07:51] Und ich möchte eine Sache ergänzen: Das ist super identitätsstiftend, und das ist nicht sektengleich, sondern erzeugt, dass die Menschen ein Identitätsgefühl bekommen und wissen: Warum mache ich das eigentlich? Ich trage dazu bei, Arbeit lebenswerter zu gestalten.
Simone Nissen [00: 08:07] Wie fühlt sich das jetzt an, seit dein Unternehmen einen Purpose hat? Kannst du uns vielleicht eine typische schwierige Situation beschreiben, wo du froh warst, den Purpose zu haben?
Dr. Benedikt Erdmann [00: 08:15] Die Dominanz des operativen Geschäfts, das Quartalsergebnis oder des Monatsergebnis zu schaffen, zieht eine Organisation im Fokus immer weg von den langfristigen Zielen. Und gutes Management kann beides. Also da können wir das Jahresergebnis schaffen oder das Quartalsergebnis schaffen und trotzdem einen langfristigen Kurs beibehalten. Und mir hilft das enorm, wenn wir wieder zu sehr in den Sumpf des Operativen abrutschen. Den Blick zu heben, mit den Führungskräften darüber zu reden: Was wollen wir eigentlich wirklich erreichen? Welche Geschäftsfelder wollen wir bedienen? Welche Geschäftsfelder haben Priorität, welche sind vielleicht geringerer priorisiert? Das ist das eine, das enorm bedeuten ist. Das zweite ist: Wir haben ja ganz viele Tätigkeiten, bei denen die Verbindung zu diesem Purpose ausgesprochen weit weg ist. Ein Mitarbeiter ist im Lager, in der Logistik und packt ein Paket. Und wir müssen uns große Mühe geben, und wir geben uns große Mühe, den Beitrag einem jeden Einzelnen zu erklären, warum seine Arbeit wichtig ist.
Simone Nissen [00: 09:24] Also ihr müsst das auch immer noch mal modifizieren. Auf die einzelnen Mitarbeiter, Abteilungen, Kunden, andere Stakeholder. Kann man das so verstehen?
Dr. Benedikt Erdmann [00: 09:31] Ja, ganz genau. Also es ist schon hilfreich, wenn man im Büro zufrieden arbeiten will, und man hat jetzt gerade kein Papier, dass das Paket pünktlich kommt. Und die Aufgabe unsere Logistik besteht darin, dafür zu sorgen, dass die Produkte pünktlich da sind und das Paket unbeschädigt ankommt, damit die Menschen zufrieden sind, wenn sie das Paket entgegennehmen. Das ist ein Beitrag zum lebenswerten Arbeiten. Und eine ganz große Arbeit, die wir noch vor uns haben, ist, das immer wieder zu erklären und den Menschen nahezubringen, weil es gleichzeitig eine enorm wertschätzende Aussage gegenüber den Mitarbeitenden ist. Denn jeder Beitrag ist von elementarer Bedeutung. Und mit diesem Anspruch „Wir sorgen dafür, dass Arbeit lebenswerter wird“ haben wir nicht nur der Organisation Sinn gegeben, sondern wir haben gleichzeitig auch Leitplanken, einen Rahmen gesetzt für unsere Expansion in neue Geschäftsfelder.
Simone Nissen [00: 10:27] Kommen wir zu diesem höheren Zweck. Ich bin jetzt mal ganz böse. Muss tatsächlich jedes Unternehmen die Welt verbessern? Also, was ist zum Beispiel mit einem Tabakkonzern?
Dr. Thomas Fischer [00: 10:36] Ja, aber das ist aus meiner Sicht so ein bisschen missleading. Der Purpose muss nicht immer heißen: Wir verbessern die Welt. Sondern zunächst mal heißt es: Wir geben der Arbeit einen Sinn. Und einen Zweck. Und ich finde, man kann sich ganz einfach die Frage stellen: Ich selber habe drei Kinder, und als sie klein waren, haben die mich gefragt: Was arbeitest du eigentlich? So, und jetzt stellt man plötzlich fest, die Frage ist für ein sechsjähriges Kind nicht ganz so leicht zu beantworten. Und wenn man darüber nachdenkt, was ist denn der höhere Sinn dessen, was ich eigentlich tue, dann ergeben sich plötzlich ganz andere Antworten. Also meine Empfehlung ist auch an alle Zuhörenden, sich mal diese Frage zu stellen. Was antworten Sie denn einem Kind? Fünf Jahre, sechs Jahre, das Sie fragt: „Was machst du eigentlich?“ Und dann stellt man fest: Ja, ich mache Powerpointfolien oder ich mache Konzepte. Und das ist für ein Kind einfach völlig abstrakt. Aber zu sagen, ich helfe Unternehmen, besser zu werden oder ich helfe Menschen, lebenswerter zu arbeiten, oder ich helfe, dass Maschinen besser funktionieren. Das gibt dem Ganzen doch einen viel höheren Sinn. Es muss nicht immer Weltverbesserer sein.
Simone Nissen [00: 11:39] Aber nehmen wir noch mal den Tabakkonzern. Mal angenommen, du müsstest den jetzt beraten. Wie würdest du da vorgehen? Also er drängt sich ja zumindest nicht auf, der gesellschaftliche Beitrag.
Dr. Thomas Fischer [00: 11:51] Nein, aber wahrscheinlich würde ein Tabakkonzern für sich auch den Beitrag noch mal anders definieren. Dass er möglicherweise sagen würde: Wir geben Menschen Phasen der Ruhe oder der Achtsamkeit, wo sie mal innehalten. Oder wir unterstützen Geselligkeit. Keine Ahnung. Das sind ja diese Beispiele mit Rüstungskonzern und Co, wo man sagt, was ist denn da der höhere Sinn? Man darf nicht anfangen, Purpose mit Moral gleichzusetzen, aber es muss nicht moralisch einwandfrei sein. Oder was wir so gemeinhin vielleicht als solches bezeichnen würden.
Simone Nissen [00: 12:22] Für die Zuhörenden, die ihr jetzt überzeugt habt, nennt ihnen doch einmal die ersten ganz konkreten Schritte zum Finden und Einführen eines überzeugenden Purpose.
Dr. Thomas Fischer [00: 12:30] Das ist relativ einfach. Das erste ist mal, dass man eine Diskussion im Management führt oder mit den Gesellschaftern führt und mal da herausfindet: Was sind denn die Meinungen und Perspektiven, die man da zu hören bekommt? Und dann würde ich immer im zweiten Schritt einen möglichst repräsentativen Mix an Mitarbeitenden im Unternehmen schlicht mal befragen, weshalb sie da sind, was sie ihren Kindern erzählen, was sie anderen empfehlen, warum es sich lohnt hier zu arbeiten, was passieren würde, wenn das Unternehmen plötzlich nicht mehr da wäre. Also solche grundsätzlichen Fragen. Und dann nimmt man diesen ganzen Input heraus, den man entwickelt hat und dann extrahiert man quasi so die Essenz aus allem. Und die wird dann entsprechend formuliert und daraus entstehen dann wieder Geschichten. Also, das Thema Storytelling ist dann wichtig, dass man weiß, okay, das ist unser Purpose und den können wir auch mit Geschichten, mit Themen belegen und ihn nachher auch mit Ritualen, mit Symbolik usw. verstärken. Und das sind eigentlich die Schritte, die man tut. Was danach kommt, ist natürlich - das klingt ja immer alles so ein bisschen esoterisch - dann die Frage: Wie überführen wir das in Strategie? Was heißt das jetzt für Strategiearbeit? Was heißt das für unsere Ziele? Was heißt das für die Art und Weise, wie wir miteinander arbeiten? Was heißt das für Methodiken, Systematik, Unternehmen? Also das heißt, während das eine der relativ weiche Teil ist, kommt der zweite Teil dann eben deutlich härter. Da geht es dann wirklich um Strukturen und systematische Fragen, wie man das Ganze auch dann möglichst konsequent in die Organisation bringt. Und das ist natürlich dann auch der größere Teil, ehrlich gesagt, der Arbeit, die dann ansteht.
Simone Nissen [00: 14:03] Wie schwierig war dieser Teil für euch, Benedikt?
Dr. Benedikt Erdmann [00: 14:05] Der Prozess war sehr natürlich. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hatten Hunderte von Geschichten zu erzählen, die alle um die Welt der Arbeit ranken, die allerdings natürlich naturgemäß sehr verschieden und sehr unterschiedlich waren. Und sie haben den gemeinsamen Nenner gesucht, haben dem einen Namen gegeben, haben dem eine Fassung gegeben. Deshalb habe ich diesen Prozess schon als sehr zeitintensiv empfunden, allerdings nicht als künstlich. Also, es ist nicht vergleichbar mit der Entwicklung und der Markteinführung eines neuen Produktes. Da schafft man etwas Neues, was noch gar nicht da war. Sondern wir haben Dinge genommen, die bereits dagewesen sind. Und deshalb ist dieser Prozess auch sehr angenehm gewesen, weil die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Gefühl hatten, dass sie sich einbringen konnten, statt dass ihnen etwas übergestülpt wurde.
Simone Nissen [00: 14:51] Gab es denn auch mal eine negative Reaktion, dass irgendein Mitarbeiter gesagt hat: „Boah, jetzt lass mich mit dem Quatsch in Ruhe.“?
Dr. Benedikt Erdmann [00: 14:56] Ja, klar. Das ist ja der Klassiker, dass es immer auch Mitarbeitende gibt, die sagen: „Ja, soll ich das jetzt auch noch machen? Ich komme ohnehin mit meiner Arbeitszeit nicht zurecht. Und jetzt hat der Erdmann wieder so eine bescheuerte Idee, mit der ich mich noch zusätzlich beschäftigen muss, weil der doch gar nicht weiß, was ich den ganzen Tag zu leisten habe. Also diese Stimmen gibt es natürlich auch.
Simone Nissen [00: 15:15] Was machst du mit solchen Stimmen?
Dr. Benedikt Erdmann [00: 15:16] Also ich akzeptiere, dass sie da sind, weil die Sichtweise der Mitarbeitenden ja auch nachvollziehbar ist. Ja, das ist alles vollkommen in Ordnung, Aber gleichwohl erreicht man ja in einem Unternehmen niemals 100 % der Menschen. Ich glaube, wir haben rund die Hälfte der Mitarbeitenden erreicht bei uns, die sich mittelbar oder unmittelbar irgendwie mit diesem Thema beschäftigen. Und das finde ich schon sehr, sehr viel. Dass es auch viele Menschen gibt, die das Thema jetzt nicht unmittelbar anspricht oder die es für sie nicht unmittelbar als handlungsrelevant ansehen, das mag man bedauern, aber so ist das Leben.
Einspieler [00: 15:49] Und jetzt der Gedanke zum Mitnehmen.
Simone Nissen [00: 15:54] Konkrete Handlungsempfehlungen haben wir jetzt. Was ist noch ein ergänzender Gedanke, den ihr den Zuhörenden gerne ans Herz legen möchtet?
Dr. Thomas Fischer [00: 16:00] Also ich will zwei Gedanken geben. Das eine ist: Es ist nicht zu spät, sich damit zu beschäftigen, und es bietet unglaublich viel Orientierung. Ich gehe nicht davon aus, dass die Zeiten, die vor uns liegen, deutlich ruhiger werden. Wir werden uns damit abfinden müssen, dass wir in einem Dauermodus der Krisenbewältigung sind, dass die Zeiträume der Betrachtung, strategische Zeiträume immer kürzer werden. Man kann heute keine Strategie mehr für drei Jahre festlegen, weil kein Mensch mehr weiß, was in drei Jahren ist oder in fünf Jahren. Man kann die Richtung vorgeben, man kann sich überlegen, wie man das gestalten möchte. Man muss immer gewahr sein. Die Welt ist in Bewegung, ändert sich. Und da ist es sehr gut, so einen Purpose zu haben. Und es ist wichtig, sich damit auseinanderzusetzen. Vielleicht gerade jetzt, in diesen Krisenzeiten.
Dr. Benedikt Erdmann [00: 16:45] Aus meiner persönlichen Wahrnehmung: Es erleichtert die Führung. Ich führe sehr gerne und sehr viele Personalgespräche, Einstellungsgespräche und auf die Frage „Was machen Sie überhaupt?“ hatte ich nie eine kurze, prägnante und begeisternde Antwort. So richtig toll fanden die das, glaube ich, nicht. Es hat nicht begeistert. Und jetzt erkläre ich ganz einfach: „Wir sorgen dafür, dass Arbeit besser funktioniert. Wir kümmern uns um die Welt der Arbeit. An welcher Stelle auch immer. Und das ist einem stetigen Wandel unterworfen. Und wir wollen einfach Leute bei uns haben, die Bock haben, daran mitzuarbeiten.“ Und ich habe festgestellt, dass insbesondere jüngere Menschen dadurch sehr, sehr angesprochen werden. Ältere Menschen stellen, glaube ich, die Funktion ihrer Tätigkeit mehr in den Mittelpunkt. Jüngere Menschen fragen mich: „Warum soll ich denn hier arbeiten? Ich habe fünf Angebote. Warum soll ich denn ausgerechnet zu euch kommen?“ Und jeder, der sich genauso einen abstammelt, wie ich es lange getan habe bei der Beantwortung dieser sehr fundamentalen Frage, der sollte sich mal überlegen, ob sein Unternehmen einen Purpose hat.
Simone Nissen [00: 17:48] Danke für eure Erfahrung und Ihnen, liebe Zuhörende Danke fürs Einschalten, und ich freue mich, wenn wir uns am nächsten Mittwoch wieder hören, wenn es wieder heißt „So klingt Wirtschaft“.
Outro [00: 18:00] „So klingt Wirtschaft“. Haben Sie Fragen, Kritik oder Anmerkungen? Dann schreiben Sie uns gerne an podcast@handelsblattgroup.com. Gefällt Ihnen, was Sie hören? Dann bewerten Sie uns gerne auf Spotify oder Apple Podcasts.
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